Zweifach tödlicher Unfall mit Radlader durch verbotenen Einsatz bei einem Zeltlager
Bei einem Zeltlagerausflug von Kindern und Erwachsenen im Juni 2023 wurde eine Gruppe von Personen zur „Belustigung“ in einen „Transportkorb“ – eine groß dimensionierte Gitterbox – gestellt und mittels eines Radladers über einen Feldweg gefahren. Die Gitterbox wurde dabei in die Höhe gehoben.
Offensichtlich durch einen gerissenen Hydraulikschlauch kippte der Korb nach vorne und die Personen fielen aus ca. 3 Metern Höhe zu Boden. Danach fiel die Transportbox auf die am Boden liegenden Menschen.
Ein Erwachsener und ein 5-jähriger Junge verloren bei dem Vorfall ihr Leben, 10 weitere Kinder wurden zum Teil schwer verletzt.
Wie konnte es zu dem Unfall kommen?
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass ein gerissener Hydraulikschlauch die alleinige Ursache des Vorfalls war, es sich demnach um einen Unfall handelte, den niemand zu verantworten hat – also ein Unglück.
Doch weit gefehlt! – Schauen wir genauer hin:
Fahrer befähigt?
Schaut man sich einen Radlader an, so ist dies ein „komplexes“ Gebilde. Es liegt der Verdacht nahe, dass nicht jedermann damit fahren darf. – Und so ist es auch.
Ein Radlader gehört zu den Erdbaumaschinen. Diese werden wie folgt definiert:
Eine Erdbaumaschine ist eine …
„… selbstfahrende oder gezogene Maschine auf Rädern, Raupen oder Stützbeinen, mit Arbeitseinrichtung und/oder Arbeitsausrüstung (Arbeitswerkzeug), primär konstruiert für Graben, Laden, Transportieren, Verteilen, Verdichten oder Fräsen von Erde, Gestein oder ähnlichen Materialien; Anmerkung zum Begriff: Eine Erdbaumaschine wird im Allgemeinen von einem aufsitzenden Maschinenführer bedient, kann aber auch ferngesteuert oder mitgängergeführt bedient werden.“
DIN EN 474-1
Erdbaumaschinen dürfen nur von ausgebildeten Fahrerinnen und Fahrern bedient werden. Das geben schon die Hersteller in ihren Betriebsanleitungen ausdrücklich vor.
Erdbaumaschinenführer müssen folgende Voraussetzungen erfüllen:
- Vollendung des 18. Lebensjahres,
- körperliche und geistige Eignung,
- unterwiesen im Führen der Erdbaumaschine und Nachweis ihre Befähigung hierzu gegenüber dem Unternehmer,
- zuverlässiges Erfüllen der ihm übertragenen Aufgabe.
Das steht in der DGUV Regel 100-500 Kap. 2.12 „Betreiben von Erdbaumaschinen“ in Punkt 3.2.
Wie im Einzelnen die Ausbildung auszusehen hat, ist ebenfalls in einer berufsgenossenschaftlichen Vorgabe festgelegt, nämlich im DGUV Grundsatz 301-005.
Es wäre also im Rahmen der Ermittlungen zu klären, ob der Fahrer des Radladers die Befähigung dazu hatte.
Vieles spricht dafür, dass dies nicht der Fall war.
Wäre dies aber doch der Fall gewesen, müsste zusätzlich geklärt werden, ob der Fahrer diesen Radlader kannte oder nicht vorher darin hätte eingewiesen werden müssen.
Auch wäre dann zu klären, wie die Ausbildung ausgesehen hat und wer der Ausbilder war. Denn im Rahmen der Unterweisung hätte der Ausbilder oder die Ausbilderin darüber sprechen müssen, dass das was dort gemacht wurde, verboten und gefährlich ist. Wenn jemand die Qualifizierung vorgenommen hat, der dafür selbst nicht ausreichend qualifiziert war und darüber deshalb nicht gesprochen wurde, dann kann unter Umständen auch der Ausbilder oder die Ausbilderin für den Unfall haften. Deshalb sollten auch Ausbilder in entsprechenden Lehrgängen für das Ausbilden des Fahr- und Steuerpersonal qualifiziert werden und rechtssichere Schulungsunterlagen verwendet werden.
Personentransport mit Erdbaumaschinen?
Dürfen (in Deutschland) überhaupt Personen mit Erdbaumaschinen befördert werden?
Wie die Definition (s. o.) schon sagt, sind Erdbaumaschinen für das Bewegen von Lasten (z. B. Erdreich) bestimmungsgemäß konstruiert und vorgesehen.
Das für das Heben von Personen bestimmungsgemäß vorgesehene Transportmittel ist eine Hubarbeitsbühne.
Ausnahmsweise dürfen aber auch andere (mobile) Arbeitsmittel für das Heben von Personen eingesetzt werden – Stapler, Krane oder auch Erdbaumaschinen.
Für Stapler und Krane ist dies geregelt in der TRBS 2121 Teil 4 mit dem Titel „Gefährdung von Beschäftigten durch Absturz - Ausnahmsweises Heben von Beschäftigten mit hierfür nicht vorgesehenen Arbeitsmitteln“.
Erdbaumaschinen – also auch Radlader – kommen in dieser Vorschrift nicht vor. Jedoch dürfen unter engen Voraussetzungen auch mit Baggern und Radladern Personen gehoben werden. Diese Voraussetzungen regelt die DGUV Information 201-029.
Es dürfen dabei aber nur Plattformen verwendet werden, die formschlüssig direkt an dem Trägergerät (also dem Radlader) befestigt sind (DGUV I 201-029 „Handlungsanleitung für Auswahl und Betrieb von Arbeitsplattformen an Hydraulikbaggern und Ladern“).
Hebevorgang korrekt?
Hätte die Gruppe – so wie erfolgt – transportiert werden dürfen?
Die Personen standen in einem Transportkorb – eine Art große Gitterbox. Ein solches Arbeitsmittel ist bestimmungsgemäß für den Transport von Lasten, vornehmlich von Einzelteilen, konstruiert und vorgesehen. Für den Transport von Personen ist sein Einsatz nicht nur bestimmungswidrig, sondern sogar verboten! Kein Hersteller eines solchen Transportkorbes gibt eine solche Box für einen Personentransport „frei“. Das steht so auch in den Betriebsanleitungen für diese Transportmittel.
Dazu kommt, dass die Box auf Gabelzinken transportiert wurde, auf denen sie ohne eine Vorrichtung gegen Abrutschen ungesichert stand. Arbeitskörbe zum Heben von Personen haben eine solche Sicherung (z. B. bei Staplern), was der nächste Grund dafür ist, dass dieses Transportmittel nicht zum Transport von Personen hätte genutzt werden dürfen.
Ein weiterer Grund für die Ungeeignetheit solcher Transportkörbe ergibt sich aus den Abmessungen: Solche Transportboxen weisen in der Regel viel zu niedrige Umwehrungen auf – deshalb ist eine große Gefahr des Herausfallens gegeben, wenn diese mit Personen besetzt sind. Hinzu kommt, dass Arbeitsbühnen, die auf die Gabelzinken eines Radladers aufgesteckt werden, nicht dem Stand der Technik entsprechen und damit nicht eingesetzt werden dürfen (TRBS 2121 Teil 4 Punkt 1 Abs. 5). Das ist aber gerade in diesem Fall erfolgt.
Zuletzt ist selbst bei Arbeitskörben, die für das Heben von Personen eingesetzt werden dürfen, die Personenzahl begrenzt. Häufig darf sogar nur eine Person gehoben werden, alleine schon aufgrund der geringen Standfläche innerhalb eines solchen Korbs. Das Heben von vielen Personen gleichzeitig wie es hier gemacht wurde, verschärft die Situation also noch weiter.
Im Ergebnis hätte dieses Transportmittel also für das Heben von Personen keinesfalls eingesetzt werden dürfen.
Fahren auf dem Feldweg?
Das Fahren auf dem Feldweg mit der Gruppe in der „Box“ war ebenfalls verboten. Egal, ob Stapler oder Erdbaumaschine: Mit diesen Fahrzeugen dürfen Personen nur zu Arbeitszwecken und nur stationär an dem Ort eingesetzt werden, wo gearbeitet wird. Lediglich eine sog. Feinpositionierung ist dann noch erlaubt, also „langsame Fahrbewegungen zum Ausrichten an der Einsatzstelle“ (DGUV I 201-029 Punkt 4.4).
Anmerkung: Selbst das bestimmungsgemäß zum Heben von Personen vorgesehene Arbeitsmittel – die Hubarbeitsbühne – darf grundsätzlich nur so eingesetzt werden (DGUV R 100-500 Kap. 2.10 Punkt 2.4.1).
Erdbaumaschine geprüft?
Erdbaumaschinen müssen regelmäßig von einem Sachkundigen / einer zur Prüfung befähigten Person geprüft werden. Das geht aus mehreren Vorschriften hervor (z. B. aus der BetrSichV, TRBS 1201, 1203, DGUV R 100-500 Kap. 2.12). Regelmäßiges Prüfintervall ist 1x jährlich (TRBS 1201 Anhang 4). Der gerissene Hydraulikschlauch könnte ein Indiz dafür sein, dass er schon vor der Fahrt beschädigt war oder sich zumindest in einem Zustand befunden hat, in dem die Maschine nicht mehr hätte betrieben werden dürfen, bis der Schlauch ausgewechselt wurde.
Wann also war die letzte Prüfung eines Sachkundigen? Wo ist das letzte Prüfprotokoll (s. BetrSichV § 14 Abs. 7)? Lag die letzte Prüfung länger als 1 Jahr zurück, hätte der Lader gar nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Wies der Prüfbericht auf wesentliche Mängel hin, die einem Weiterbetrieb des Radladers entgegengestanden hätte, hätte er ebenfalls nicht mehr betrieben werden dürfen.
Ein Arbeitsmittel muss auch vor dem Einsatz durch eine Sicht- und Funktionsprüfung auf „offensichtliche“ Mängel kontrolliert werden (BetrSichV § 4 Abs. 5). Das geben auch die Hersteller in ihren Betriebsanleitungen vor. Dies gilt nicht nur bei einer betrieblichen Nutzung , sondern bei jeder. Ein vorgeschädigter Hydraulikschlauch hätte bei einer solchen vorherigen Einsatzprüfung auffallen können. Das Fahrzeug hätte dann nicht mehr betrieben werden dürfen, bis der Mangel behoben, also der Hydraulikschlauch ausgewechselt wurde.
Da eine solche Einsatzprüfung vor der Unfallfahrt mit Sicherheit nicht gemacht wurde, braucht man die Frage nach der Dokumentation dieser täglichen Einsatzprüfung gar nicht erst zu stellen.
Fazit
Diese Ausführungen sind nicht abschließend und aus erster Sicht nach Kenntnis der Sachlage verfasst. Diese Überlegungen sind jedoch bei der Bewertung der Sach- und Rechtslage mit in Betracht zu ziehen – neben der Frage, ob und was der Radladerfahrer wusste, nicht wusste, aber hätte wissen müssen und inwieweit ihm ein Verschulden nachgewiesen werden kann bzw. ihm ein Vorwurf im Sinne der juristischen Bewertung zu machen ist.
Bei grober Bewertung hätte man aber auch als vollkommener Laie zu dem Ergebnis kommen müssen, dass so etwas niemals hätte praktiziert werden dürfen.
War der Fahrer ausgebildeter Erdbaumaschinenführer, hätte er aufgrund seiner Ausbildung sowieso wissen müssen, dass so etwas ein „No-Go“ ist. Dann wäre ihm auf alle Fälle ein sehr schwerer Schuldvorwurf zu machen.