Viele Unternehmer und Führungskräfte kennen es: Plötzlich ist es mal wieder soweit. Die jährliche Unterweisung steht an. Da es aber schwierig ist, alle die teilnehmen sollen zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu versammeln, greifen die Vorgesetzten zu einer E-Learning-Unterweisung. Doch ist das eigentlich erlaubt?
In diesem Artikel geht es um die Voraussetzungen, unter denen E-Learning für Unterweisungen im Arbeitsschutz eingesetzt werden darf, und darum, ob sogar eine mündliche Unterweisung in Präsenz vollständig durch E-Learning ersetzt werden kann.
Wer weiterhin auf bewährte (und zu 100 % Rechtssichere) Präsenzunterweisungen setzen möchte, findet dafür fertige Präsentationen zu vielen Arbeitsmitteln und Themen beim Resch-Verlag.
Was bedeutet E-Learning?
Unter E-Learning (auch technologiegestütztes Lernen oder Online-Lernen genannt) versteht man meist das eigenständige Lernen mithilfe elektronischer Medien. Die Lernenden werden also nicht durch eine Person unterrichtet wie bei einer klassischen Präsenzunterweisung, sondern im Selbststudium durch elektronische Medien an einem PC, Tablet oder Smartphone.
Hinweis: Unterweisungen, bei denen ein Live Video-Call mit dem Unterweisenden stattfindet werden in diesem Artikel nicht behandelt, sondern nur E-Learning was im Selbststudium stattfindet.
Eine E-Learning-Unterweisung findet heutzutage meist online in einem Browser im Internet bzw. Intranet statt, kann aber auch offline als lokale Datei bzw. installierte Software umgesetzt sein. Zudem können die Lernmodule in ein umfangreicheres Arbeitsschutzmanagement-System eingebunden sein.
Elektronische Medien, die in E-Learning-Unterweisungen eingebunden werden können, sind:
- Texte
- Bilder und Infografiken
- Präsentationen, PDF-Dateien
- Tonsequenzen
- Animationen
- Videos
- Simulationen
- Fragen/Quiz (als Multiple-Choice oder Freitext)
- Lösen von Aufgaben durch: Verbinden von passenden Elementen, Elemente in die richtige Reihenfolge bringen etc.
Was als E-Learning verstanden wird und wie eine E-Learning-Unterweisung umgesetzt ist, kann sich in Anbetracht der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten stark unterscheiden. Es gibt zudem große Unterschiede was die methodisch-didaktische und inhaltliche Qualität sowie den Grad an Interaktivität angeht.
Häufig werden E-Learning-Unterweisungen wie folgt umgesetzt: Eine animierte Präsentation mit Bildern und Text wird in einem Video gezeigt und gleichzeitig werden in einer Kommentierung auf einer Audiospur weitergehende Inhalte und Beispiele gegeben. Anschließend findet oft eine Lernerfolgskontrolle in Form eines Quiz mit Multiple-Choice Fragen statt.
E-Learning Produkte können zum einen vom Unternehmen von externen Anbietern bezogen werden und zum anderen besteht die Möglichkeit, dass die Unterweisungen vom Unternehmen selbst betriebsspezifisch aufbereitet und nur intern zur Verfügung gestellt werden. Im Großteil dieses Artikels werden E-Learning Produkte thematisiert, die am Markt erworben werden können und somit nicht auf die exakten betriebsspezifischen Gegebenheiten angepasst sind.
Hinweis: Das Lernen an Fahrsimulatoren und VR-Brillen kann als Randgebiet des E-Learnings angesehen werden und wird in diesem Artikel ausführlich behandelt.
Vor- und Nachteile von E-Learning
Auf der Ebene des Managements werden häufig vor allem die betriebswirtschaftlichen Vorteile von E-Learning wahrgenommen. Darüber hinaus kann es allerdings auch Vorteile für die Unterwiesenen bieten. Die Nachteile sollten aber keinesfalls unberücksichtigt bleiben.
Die aufgelisteten Vor- und Nachteile treffen aufgrund der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten nicht auf alle E-Learning Produkte gleichermaßen zu. Zudem werden im restlichen Artikel einige der Punkte noch differenzierter thematisiert.
Vorteile:
Ortsunabhängigkeit:
E-Learning-Unterweisungen können in verschiedenen Räumlichkeiten, an verschiedenen Firmenstandorten oder sogar aus dem Homeoffice gleichermaßen absolviert werden. Dadurch spart man sich Reisezeit.
Zeitunabhängig:
Es müssen nicht alle Teilnehmenden gleichzeitig an einem festgelegten Termin unterwiesen werden. Somit können Ausfallzeiten reduziert und Leerläufe genutzt werden. Die einzige Bedingung ist, dass die Bearbeitung der Unterweisung während der Arbeitszeit erfolgt.
Organisationsaufand:
Durch die ersten drei Vorteile entsteht eine Flexibilität, die den Organisationsaufwand reduzieren kann.
Kostenersparnis:
Setzt man auf reines E-Learning, ist kein Unterweiser mehr nötig. Es muss auch kein eventuell vorher benötigter externer Dienstleister mehr bezahlt werden. Die Ausfallzeiten sind geringer, auch weil E-Learning-Unterweisungen oft kürzer sind. Zudem ist die Gruppengröße prinzipiell nicht begrenzt.
Höherer Lerneffekt:
Durch Einbindung verschiedener Medien, Ansprechen verschiedener Sinnesorgane (sehen, hören), Interaktivität und Verständnisüberprüfungen kann der Lerneffekt gesteigert werden. Gleiches kann allerdings auch durch eine gut gestaltete Präsenzunterweisung erreicht werden.
Gleichbleibende Qualität:
Ein Unterweiser kann einen guten oder schlechten Tag haben. Die E-Learning Lösung bleibt immer genau gleich.
Individuelles Lerntempo:
In einer Präsenzunterweisung kann durch die Anwesenheit der anderen Teilnehmenden Druck oder sogar Scham entstehen, wodurch sich nicht jeder traut, darum zu bitten, ein Thema nochmals zu wiederholen. In einer E-Learning-Unterweisung ist dies problemlos möglich.
Andere Lerntypen erreichen:
Durch E-Learning können Personen erreicht werden, deren Charakter oder Lerngewohnheiten nicht zu einer klassischen Präsenzschulung passen, z. B. Personen, die sich in Gruppen nicht wohlfühlen, autodidaktisch veranlagte Personen oder technikaffine Menschen, die durch die Nutzung von elektronischen Medien motiviert werden und dadurch effektiver lernen.
Nachteile
Unzureichende Dauer:
Was auf der einen Seite Zeit und Kosten spart, ist auf der anderen Seite zu bemängeln, wenn die Unterweisungsinhalte in zu kurzer Zeit und nicht ausreichend über die auftretenden Gefährdungen informieren.
Computerkenntnisse nötig:
Zwar besteht häufig eine große Geräteauswahl, da viele E-Learning Angebote darauf ausgerichtet sind auf nahezu allen internetfähigen Geräten wie PCs, Laptops, Tablets oder Smartphones abrufbar zu sein, dennoch sind mit diesen Geräten nicht alle Personen vertraut.
Qualitätsunterschiede zwischen Anbietern:
Je nach inhaltlicher und methodisch-didaktischer Gestaltung kann der Lerneffekt auch schlechter sein im Vergleich zu einer Präsenzschulung.
Gerätebedarf:
Das Unternehmen braucht ausreichend viele Computer etc. vor Ort im Betrieb oder muss sie zur Verfügung stellen, wenn die Unterweisung im Homeoffice, auf Dienstreise etc. durchgeführt werden soll.
Beschränkte Themenauswahl:
Dadurch, dass bei einem Anbieter meist nur eine Unterweisung je Themenbereich angeboten wird, kann Motivationsverlust bei den Unterwiesenen eintreten, wenn diese die gleiche Unterweisung jedes Jahr wiederholen, da der exakte Inhalt bereits bekannt ist. Eine Präsenzunterweisung ist durch unterschiedliche Teilnehmende, Unterweisende und andere Rückfragen jedes Jahr etwas anders, selbst wenn sie das gleiche Thema behandelt.
Bei speziellen Themen wird man bei E-Learning Anbietern nicht fündig, da es ab einem gewissen Grad am Markt schlicht kein Angebot mehr gibt. Soll für diese Themen dennoch E-Learning eingesetzt werden, bleibt nur noch die Möglichkeit, die Unterweisungen intern betriebsspezifisch selbst zu erstellen.
Bestimmte Lerntypen werden nicht erreicht:
Zwar erreicht E-Learning auch neue Lerntypen, auf der anderen Seite werden aber Personen, die gerade durch menschliche Interaktion in Präsenzschulungen effektiv lernen, bei ausschließlichem E-Learning nicht auf ihre Kosten kommen (vgl. DGUV Information 255-001 Kapitel 8).
Keine Rückfragen möglich:
Wird ausschließlich auf E-Learning gesetzt, sind keine Rückfragen möglich. Wenn etwas nicht verstanden wird, bleibt nur eine Wiederholung des Abschnitts oder ein Trial-and-Error bei der Verständnisüberprüfung.
Dokumentation:
Wenn die E-Learning Lösung nicht automatisch Zertifikate o. ä. erstellt, ist eine rechtssichere Dokumentation erschwert.
Missbrauchspotenzial:
Findet die Bearbeitung nicht unter Aufsicht statt, gibt es viele Möglichkeiten, wie Teilnehmende die Intention der Unterweisung umgehen können:
- Wenn keine Einzelzugänge bestehen, kann eine Person die Unterweisung durchklicken während die anderen nur zuschauen und evtl. nicht aufpassen.
- Eine Person loggt sich mit mehreren Zugangsdaten parallel ein und absolviert die Unterweisung für eine ganze Gruppe.
- Verständnisprüfung so häufig wiederholen bis die Antworten stimmen.
- Findet keine Verständnisprüfung statt, besteht das Risiko, dass die Unterwiesenen nicht aufpassen und der Unterweisungsinhalt nicht angekommen ist.
Fehlende betriebliche Einordnung:
Werden fertige E-Learning-Unterweisung erworben, sind diese nie exakt auf die betriebsinternen Gegebenheiten und Gefährdungen abgestimmt.
Anforderung an E-Learning-Unterweisungen
Da es eine Vielzahl an unterschiedlich gestalteten E-Learning Angeboten gibt, kommt schnell die Frage auf, was die rechtlich relevanten Anforderungen sind, um entscheiden zu können, ob der Einsatz eines bestimmten E-Learning Produkts sinnvoll bzw. erlaubt ist oder nicht.
Diese Anforderungen gibt vor allem die DGUV Regel 100-001 mit dem Titel „Grundsätze der Prävention“ vor, die die Vorgaben aus der DGUV Vorschrift 1 mit gleichnamigem Titel konkretisiert:
„Grundsätzlich sind persönliche Unterweisungen durchzuführen; als Hilfsmittel sind elektronische Medien einsetzbar. Bei Unterweisungen mit Hilfe elektronischer Medien ist allerdings darauf zu achten, dass
- DGUV Regel 100-001 Abschnitt 2.3.1
- diese Unterweisungsinhalte arbeitsplatzspezifisch aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden,
- eine Verständnisprüfung stattfindet und
- ein Gespräch zwischen Versicherten und Unterweisenden jederzeit möglich ist.“
Was die DGUV hier „Unterweisung mithilfe elektronischer Medien“ nennt, wird in diesem Artikel und in der Praxis als „E-Learning-Unterweisung“ bezeichnet.
Aus dem zitierten Passus geht bereits hervor, dass die persönliche Unterweisung zunächst als Standard angesehen wird. E-Learning kann aber dennoch zum Einsatz kommen bei Einhaltung der dort genannten Anforderungen, die im Folgenden näher erläutert werden.
1. Arbeitsplatzspezifisch
Dass die Unterweisungsinhalte „arbeitsplatzspezifisch aufbereitet“ sein müssen, heißt im Klartext, dass der Inhalt der Unterweisung für die Tätigkeit der unterwiesenen Personen möglichst relevant sein muss.
Einem Flurförderzeugführer bspw. jedes Jahr eine Online-Unterweisung über die korrekte Verwendung eines Feuerlöschers bearbeiten zu lassen, wäre nicht sonderlich arbeitsplatzspezifisch. Der Unterweisungsinhalt wäre zwar nicht irrelevant, die wesentlichen Gefahren, mit denen der Mitarbeiter tagtäglich konfrontiert ist, würden aber nicht behandelt werden.
Trotzdem können und müssen im Rahmen der jährlichen Unterweisung nicht jedes Jahr alle Facetten des Arbeitsschutzes thematisiert werden. Wechselnde Themenschwerpunkte sind also durchaus angebracht (s. a. TRBS 1116 Punkt 3.5 (5)). Der Fokus sollte sonnvollerweise dennoch auf den Haupttätigkeiten und den größten Gefährdungen liegen.
Die Unterweisung „arbeitsplatzspezifisch zur Verfügung stellen“ bedeutet, dass alle Teilnehmenden einen eigenen separaten Zugang zum E-Learning-Angebot bekommen müssen. Ein Szenario wie „Einer klickt sich durch und 10 Personen schauen nur zu“, ist nicht erlaubt. Dies geht auch bereits aus der nächsten Anforderung hervor.
2. Verständnisprüfung
Die Verständnisprüfung findet bei E-Learning-Unterweisungen in der Regel in Form von Multiple-Choice Fragen nach einzelnen Abschnitten oder am Ende der Unterweisung statt. Bei interaktiven Aufgaben wie dem Anordnen von Elementen an die richtige Stelle ist ebenfalls eine Verständnisprüfung enthalten.
Durch die Verständnisprüfung soll verhindert werden, dass die Unterwiesenen das E-Learning nur unaufmerksam nebenbei durchführen. Gleichzeitig stellt es die geforderte Wirksamkeitskontrolle dar, dass der Unterweisungsinhalt auch tatsächlich verstanden wurde (s. DGUV Regel 100-001 Punkt 2.3.2).
3. Gespräch zwischen Versicherten und Unterweisenden
Die Anforderung, dass „jederzeit ein Gespräch zwischen Versicherten und Unterweisenden“ möglich sein muss, lässt sich umschreiben damit, dass die Teilnehmenden während der gesamten Dauer der Unterweisung die Möglichkeit haben müssen, Fragen zu stellen für den Fall, dass sie etwas nicht verstehen oder weitergehende Informationen einholen möchten.
Da dies ein externer Anbieter eines E-Learning Angebots selbst nicht gewährleisten kann, ist es die Pflicht des Unternehmens, eine Person zu benennen, die dieses Gespräch führt. Dies gilt auch für selbst durch das Unternehmen erstellte E-Learning-Unterweisungen, die betriebsspezifisch aufbereitet sind.
Am besten kann dieses Gespräch persönlich in Präsenz geführt werden, ein Video-Call oder Anruf erfüllt die Voraussetzung jedoch auch, wenn die benannte Person zur Zeit der Unterweisung dann auch tatsächlich für ein Gespräch verfügbar ist.
Wird als Option zum Fragenstellen nur eine Möglichkeit zum Chatten oder eine E-Mail-Adresse bereitgestellt, bewegt man sich eigentlich bereits in einer Grauzone, da dadurch kein Gespräch im eigentlichen Sinne stattfinden kann.
Dokumentation
Nach § 4 der DGUV Vorschrift 1 besteht die Pflicht für den Unternehmer, die Durchführung der Unterweisungen zu dokumentieren. Neben den oben aufgeführten Anforderungen ergänzt die DGUV Information 211-005 mit dem Titel „Unterweisung – Bestandteil des betrieblichen Arbeitsschutzes“ in Kapitel 8 die „Sicherstellung einer rechtssicheren Dokumentationsmöglichkeit“ explizit auch für E-Learning-Unterweisungen.
Eine Möglichkeit, wie E-Learning-Anbieter ihre Kunden bei der Dokumentationspflicht unterstützen, sind automatisch erstellte Zertifikate mit folgenden Informationen:
- Thema der Unterweisung
- Name des/der Unterwiesenen
- Datum
Bei Teilnahmezertifikaten findet die Erstellung automatisch nach Abschluss der Unterweisung statt. Aussagekräftiger jedoch sind Zertifikate, die erst dann erstellt werden, wenn die Verständnisprüfung erfolgreich absolviert wurde und bei denen auf dem Dokument auch auf diesen Umstand hingewiesen wird.
Welche Informationen idealerweise noch zur Dokumentation einer Unterweisung gehören, konkretisiert die DGUV Information 211-005 ebenfalls:
„Die Dokumentation enthält die Inhalte der Unterweisung, das Datum und die Unterschriften des Unterweisers und der Unterwiesenen.“
- DGUV I 211-005 Kapitel 11
Die Inhalte der Unterweisung und das Datum kann bereits aus einem automatisch erstellten Zertifikat hervorgehen. Dieses kann die Führungskraft zusätzlich unterschreiben und sich gegenzeichnen lassen (in ausgedruckter Form oder digital z. B. auf einem Tablet), um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein.
Kann E-Learning eine Präsenzunterweisung ersetzen?
Häufig ist das Ziel, E-Learning nicht nur als Unterstützung einzusetzen, sondern als vollständigen Ersatz einer mündlichen Unterweisung in Präsenz. Dazu bezieht die DGUV zunächst wie folgt Stellung:
„Die Unterstützung mit elektronischen Hilfsmitteln soll und kann nicht die persönliche Unterweisung und das Mitarbeitergespräch durch den jeweiligen Vorgesetzten vor Ort ersetzen.“
- DGUV Information 211-005 Kapitel 8
Ebenso ist in der TRBS 1116 – eine Regel der Technik, die von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) veröffentlicht wurde und die Betriebssicherheitsverordnung konkretisiert – über Unterweisungen folgendes zu lesen:
“Im Zusammenspiel mit Präsenzunterricht kann Unterricht auch in digitaler Form, z. B. als Video-Technologie oder E-Learning, durchgeführt werden, wenn ein ausreichendes Verständnis der Inhalte sichergestellt werden kann. Neben inhaltlichen Anforderungen müssen die eingesetzten digitalen Formate auch methodischen und didaktischen Anforderungen genügen.”
- TRBS 1116 Punkt 4.3 Abs. 2
Auch hier wird also klargestellt, dass E-Learning die Präsenzschulung eigentlich nicht ersetzen, sondern nur ergänzen soll. Konkretere Ausführungen über die „inhaltlichen und methodisch-didaktischen Anforderungen“ können dem Grundsatz GS-IAG-01 mit dem Titel „Grundsätze für die Prüfung und Zertifizierung von Web Based Trainings als elektronische Hilfsmittel zur Unterweisung“ entnommen werden.
Bei dieser Veröffentlichung der DGUV bzw. dem IAG („Institut für Arbeit und Gesundheit“; nicht zu verwechseln mit dem „Institut für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz“ in Mainz – IAG Mainz) handelt es sich um Anforderungen, die ein Anbieter von E-Learning-Produkten (hier als „Web Based Trainings“ bezeichnet) erfüllen muss, wenn dieser von der DGUV zertifiziert werden möchten.
Zur Einordnung: Es besteht keine Pflicht sich als Anbieter von E-Learning-Anwendungen von der DGUV zertifizieren zu lassen. Ein Abweichen von dem Grundsatz ist möglich und führt nicht automatisch dazu, dass eine E-Learning-Unterweisung als unzureichend gilt. Ebenso besteht keine Verpflichtung als Unternehmer/Kunde ausschließlich Unterweisungen zertifizierter Anbieter zu beziehen. Dennoch können die dort formulierten Anforderungen eine Orientierungshilfe geben, wie sich die DGUV eine Unterweisung durch elektronische Hilfsmittel idealerweise vorstellt.
Ergänzende mündliche Unterweisung
Eine entscheidende Anforderung aus dem Zertifizierungsgrundsatz ist, dass in der Produktbeschreibung und der Unterweisung selbst darauf hinzuweisen ist, dass eine Pflicht zu einer ergänzenden mündlichen Unterweisung besteht. Diese ergänzende mündliche Unterweisung habe das Ziel, den konkreten Bezug zur Tätigkeit herzustellen und arbeitsplatzspezifische Gefährdungen und Maßnahmen zu vermitteln (GS-IAG-01 Punkt 4.2.4 und 5.1.3).
E-Learning-Unterweisungen „von der Stange“ sind häufig so gestaltet, dass sie für möglichst viele Kunden relevant sind. Dadurch sind sie allerdings oft zu allgemein und bedürfen einer Einordnung in den betrieblichen Kontext.
Durch die ergänzende mündliche Unterweisung soll gewährleistet werden, dass die Anforderung, „die Unterweisungsinhalte arbeitsplatzspezifisch aufzubereiten“, auch dann erfüllt wird, wenn der Unterweisungsinhalt einer erworbenen E-Learning-Unterweisung nicht zu 100 % mit den betrieblichen Gegebenheiten übereinstimmt.
Beispiel: In einer E-Learning-Unterweisung werden die Teilnehmenden darüber unterrichtet wie man Feuerlöscher im Brandfall korrekt einsetzt. In der ergänzenden mündlichen Unterweisung wäre es dann u. a. noch nötig darauf hinzuweisen, wo sich die Feuerlöscher im Betrieb genau befinden und welche Art von Feuerlöschern vorhanden ist.
Die Dauer der mündlichen Unterweisung hängt davon ab, wie stark die Unterweisungsinhalte von den betrieblichen Gegebenheiten abweichen bzw. wie viel Konkretisierungsbedarf es noch gibt.
Sind die Inhalte der Unterweisung bereits praxisrelevant aufbereitet und weichen nur wenig von den betrieblichen Gegebenheiten ab, kann die mündliche Unterweisung kurz sein und der Großteil der Unterweisung durch das E-Learning abgedeckt werden. Befinden sich die Unterweisungsinhalte im Gegensatz dazu nur auf einer allgemeinen oberflächlichen Ebene, hat man durch E-Learning am Ende vielleicht sogar mehr Arbeit als ohne, da man alles Gesagte nochmals in den richtigen Kontext rücken muss. Die Auswahl des richtigen E-Learning-Produkts ist hierbei also entscheidend.
Die mündliche Unterweisung ist nicht erforderlich in folgenden Fällen (vgl. GS-IAG-01 Punkt 1.1 Abs. 3):
- Eine erworbene E-Learning-Unterweisung wurde durch den Anbieter oder nachträglich durch den Kunden an den eigenen konkreten Betrieb angepasst.
- Eine E-Learning-Unterweisung wurde durch das Unternehmen selbst erstellt und auf die betriebsspezifischen Gegebenheiten abgestimmt.
Ausnahmen
Es gibt Themenbereiche, in denen in rechtlichen Vorgaben explizit eine mündliche Unterweisung gefordert ist. In solchen Bereichen kann eine E-Learning-Lösung also niemals die mündliche Unterweisung ersetzen. Dies sind unter anderem:
- Gefahrstoffe (s. § 14 Abs. 2 GefStoffV)
- Biostoffe (s. § 14 Abs. 2 BioStoffV)
- Gentechnische Arbeiten in gentechnischen Anlagen (s. § 17 Abs. 4 GenTSV; nur für Sicherheitsstufe 1 sind elektronische Kommunikationsmittel erlaubt)
Da in den Verordnungen explizit eine jährliche Unterweisung in diesen Bereichen gefordert wird, sind diese Themen auch ausgenommen von den wechselnden Themenschwerpunkten, die ansonsten bei jährlichen Unterweisungen möglich sind (s. TRBS 1116 Punkt 3.5 (5)). Alle Mitarbeitenden, die mit diesen Themen zu tun haben, müssen also jedes Jahr darüber unterwiesen werden.
Ebenso können Präsenzunterweisungen nicht ersetzt werden in Themenfeldern, bei denen praktische Übungen gefordert werden. Das sind unter anderem:
- Erstunterweisung/Qualifizierung und jährliche Unterweisung für persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz / PSAgA (DGUV Vorschrift 1 § 31, DGUV Regel 112-198 Punkt 9.2)
- Erstunterweisung (Qualifizierung/Ausbildung) für Bedienpersonal mobiler Arbeitsmittel:
- Flurförderzeuge (DGUV Grundsatz 308-001)
- Teleskopmaschinen/Teleskopstapler (DGUV Grundsatz 308-009)
- Krane (DGUV Grundsatz 309-003)
- Erdbaumaschinen (DGUV Grundsatz 301.005)
- Hubarbeitsbühnen (DGUV Grundsatz 308-008)
Empfehlung
Wenn man als Unternehmer oder Führungskraft auf der Suche nach einem Anbieter für E-Learning-Unterweisungen ist, sollte man auf folgende Aspekte achten:
- Sind die angebotenen Themen auch für die tatsächlich ausgeführten Tätigkeiten und Gefährdungen im Betrieb relevant genug? à Unterweisungsinhalte arbeitsplatzspezifisch aufbereitet
- Besteht technisch die Funktionalität, jeweils einen einzelnen Zugang für alle Teilnehmenden einzurichten? à Unterweisungsinhalte arbeitsplatzspezifisch zur Verfügung stellen
- Findet eine Verständnisprüfung statt?
Weist der Anbieter die Kunden darüber hinaus noch darauf hin, dass im Unternehmen die Möglichkeit für ein Gespräch für Rückfragen bestehen muss und eine ergänzende mündliche Unterweisung nötig ist, stärkt das die Seriosität zusätzlich.
Zudem ist es ratsam auf Anbieter zu setzen, die nach erfolgreichem Abschluss der Unterweisung ein personenbezogenes Zertifikat oder einen anderen Nachweis ausstellen, um eine rechtssichere Dokumentation zu ermöglichen.
Es gibt Anbieter, die damit werben alle rechtlichen Anforderungen zu erfüllen, obwohl sie dies defacto nicht tun, da sie in ihren Produkten z. B. keine Verständnisprüfung durchführen oder nicht die Möglichkeit bieten für jede Person einen eigenen Zugang zu vergeben. Es ist also Vorsicht geboten vor falschen Werbeversprechen.
Das bedeutet allerdings nicht, dass man Produkte dieser Anbieter unter keinen Umständen nutzen darf. Die nicht erfüllten Anforderungen sollten jedoch durch den Unternehmer kompensiert werden, indem auf andere Weise sicherstellt wird, dass jede Person das E-Learning auch tatsächlich durchläuft und anschließend selbst eine Verständnisprüfung durchgeführt wird.
Erworbene Unterweisungen sollten Sie zudem immer vorher selbst testen, um deren inhaltliche sowie methodisch-didaktische Qualität zu überprüfen.
Achten sie zuletzt auf eine angemessene Dauer der Unterweisungen, die in einem sinnvollen Verhältnis zu den auftretenden Gefährdungen steht. Eine E-Learning-Unterweisung für Bildschirmarbeitsplätze in wenigen Minuten mag ausreichend sein. Eine Unterweisung für Steuerpersonal von Flurförderzeugen sollte allerdings etwas länger dauern. Je mehr Substanz und Praxisrelevanz die Unterweisung bietet, desto kürzer kann am Ende die ergänzende mündliche Unterweisung ausfallen.
Fazit
Viele Kunden sind auf der Suche nach einem günstigen E-Learning Anbieter, mit dem sie die mündlichen Präsenzunterweisungen vollständig ersetzen können. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn der Unterweisungsinhalt bereits sehr nah an den tatsächlichen betrieblichen Gegebenheiten ist oder wenn die E-Learning-Unterweisungen vom Unternehmen selbst nach den eigenen Bedürfnissen erstellt wurden, sodass die Notwendigkeit für eine ergänzende mündliche Unterweisung entfällt.
Um die Vorteile von E-Learning zu Nutzen und gleichzeitig die Nachteile zu kompensieren, ist es sinnvoll eine gute Mischung aus E-Learning und verschiedenen Formen von Präsenzunterweisungen umzusetzen:
- In einem Jahr eine E-Learning-Unterweisung mit kurzer mündlicher Ergänzung
- Im nächsten Jahr eine Präsenzschulung mit Praxisübung
- Im Jahr darauf eine E-Learning-Unterweisung mit anschließender Gruppenarbeit, in der die Teilnehmenden die Inhalte selbst in den betrieblichen Kontext einordnen sollen
- usw.
Bei all der Diskussion, ob, wann und wie E-Learning erlaubt ist, sollte nie aus den Augen verloren werden, dass es bei Unterweisungen nicht darum gehen sollte, die Unternehmerpflicht möglichst betriebswirtschaftlich effizient und schnell zu erfüllen, sondern darum, die Arbeitssicherheit im Betrieb langfristig zu verbessern und die Kosten stattdessen lieber durch weniger Unfälle/Schäden einzusparen.
Nutzen Sie daher die Vorteile von E-Learning, aber blenden Sie die Nachteile nicht aus. Entscheiden Sie sich für E-Learning Anbieter, die
- die rechtlichen Anforderungen erfüllen (Verständnisprüfung, eigener Zugang für jede Person, Erstellung eines Zertifikats),
- transparent über die noch ausstehenden Unternehmerpflichten aufklären (Möglichkeit zum Gespräch, ergänzende mündliche Unterweisung) und
- die Unterweisungsinhalte in ausreichender Länge und praxisnah gestalten.
Wenn Sie rechtlich auf Nummer Sicher gehen wollen, können Sie zudem versuchen Ihr Unterweisungskonzept bei der zuständigen Arbeitsschutzbehörde oder der Berufsgenossenschaft bzw. dem Unfallversicherungsträger überprüfen zu lassen.