Nachrüstpflicht von Kameras an Baumaschinen: Was Unternehmer wissen müssen
In der Bau- und Logistikbranche gibt es immer wieder Diskussionen über die Verpflichtung zur Nachrüstung von Rückfahrkameras oder Kamera-Monitor-Systemen bei großen Maschinen.
Teilweise werden Baustellen von Aufsichtsbeamten der Berufsgenossenschaften (BG) oder vom Gewerbeaufsichtsamt sogar stillgelegt oder zumindest der Betrieb der betroffenen Maschinen untersagt.
Doch ist das rechtens? Dürfen große Erdbaumaschinen und Co. ohne Kamera-Monitor-Systeme noch eingesetzt werden? Gibt es wirklich eine Nachrüstpflicht?
All diese Fragen, sollen in diesem Artikel geklärt werden.
Welche Maschinen sind betroffen?
Prinzipiell sind alle Fahrzeuge betroffen, die über unzureichende Sicherverhältnisse (große tote Winkel) verfügen, die nicht ohne weiteres eingesehen werden können:
- Erdbaumaschinen (Bagger, Lader, Raupen/Dozer, Walzen, Muldenfahrzeug/Muldenkipper)
- Teleskopmaschinen (geländegängige Teleskopstapler mit starrem oder drehbarem Oberwagen)
- Flurförderzeuge mit höherer Tragfähigkeit (Schwerlaststapler)
- Fahrzeuge (Lkws, Betonmischer)
Dabei sind vor allem größere Geräte mit höherer Tragfähigkeit im Visier der Vorschriften.
Sind Rückfahrkameras sinnvoll?
Zuerst sollte man sich die Frage stellen, ob die Nachrüstung von Rückfahrkameras bzw. Kamera-Monitor-Systemen aus sicherheitstechnischer Sicht überhaupt sinnvoll ist. Diese Frage ist schnell beantwortet: Ja!
Gerade größere Maschinen wie Bagger, Lader, Teleskopmaschinen oder Großstapler haben enorme tote Winkel, die der Fahrer nur schwer oder häufig gar nicht einsehen kann:
- Direkt hinter dem Fahrzeug
- Rechts neben dem Baggerarm bzw. Teleskoparm, wenn dieser abgesenkt ist
- Vor den großen Vorderrädern
Spiegel im vorderen Sichtfeld helfen zwar manche dieser toten Winkel zu verringern, gerade der tote Winkel direkt hinter der Maschine kann dadurch allerdings nicht eingesehen werden.
Zu viele Unfälle zeigen jedes Jahr, dass in genau diesen toten Winkeln Unfälle passieren, gerade auf Baustellen, wo der Maschinenführer (Baggerfahrer, Staplerfahrer etc.) häufig eng mit anderen Personen im Gefahrenbereich zusammenarbeiten muss und die örtlichen Gegebenheiten oft eng und unübersichtlich sind.
Ein Kamera-Monitor-System (KMS) erhöht die Arbeitssicherheit also ohne Zweifel deutlich. Die folgende rechtliche Grundlage kommt also nicht aus dem Nichts, um Unternehmer zu schikanieren oder ähnliches, sondern sie ist auf schwere und leider teils tödliche Arbeitsunfälle zurückzuführen.
Die rechtliche Grundlage
Die entscheidende Rechtsvorgabe, auf die sich die Aufsichtsbehörden des Arbeitsschutzes berufen, ist die Technische Regel für Betriebssicherheit (TRBS) 2111 Teil 1.
Darin wird gefordert, dass der Unternehmer bei "unzureichenden Sichtverhältnissen" technische Maßnahmen ergreifen muss, um die Gefährdung zu minimieren. Hierzu werden Kamera-Monitor-Systeme oder 360-Grad-Kameras als erste Beispiele aufgeführt.
"Der Arbeitgeber hat technische Maßnahmen zur Vermeidung oder, wenn das nicht möglich ist, zur Reduzierung der Gefährdung von Beschäftigten durch Anfahren, Überfahren oder Quetschen durch mobile Arbeitsmittel aufgrund unzureichender Sichtverhältnisse [...], insbesondere beim Rückwärtsfahren, zu treffen. Solche Maßnahmen können z. B. sein: Einsatz von Kamera-Monitor-Systemen, 360-Grad-Kamera-Systemen [...]"
- TRBS 2111 Teil 1 Abschnitt 3.2.1 Abs. 3 und 4
Nun könnte man auf die Idee kommen, dass auch organisatorische Maßnahmen wie eine Absperrung des Gefahrenbereichs oder Warnkleidung ausreichend wären, doch die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) bestätigt eindeutig, dass technische Maßnahmen Vorrang haben:
"Technische Schutzmaßnahmen haben Vorrang vor organisatorischen, diese haben wiederum Vorrang vor personenbezogenen Schutzmaßnahmen."
- Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV § 4 Abs. 2 Satz 2)
Trotzdem sind organisatorische und personenbezogene Maßnahmen zusätzlich natürlich sinnvoll und erforderlich, so z. B. die Unterweisung und Qualifizierung des Personals, sodass sich diese über die Gefahr der toten Winkel im Klaren sind.
Nun gäbe es aber noch weitere technische Maßnahmen, die auf den ersten Blick in Frage kämen, um die Sicht zu verbessern, z. B.:
- Bereits vorhandene Spiegel nutzen oder die kostengünstigere Nachrüstung mit weiteren Zusatzspiegeln
- Scheibenwischer, Scheibenwaschanlagen oder Scheibenheizung, um den Blick durch die Scheiben zu verbessern
- Beleuchtungseinrichtungen (Scheinwerfer) am Arbeitsmittel oder in deren Umgebung
All diese Maßnahmen sind zwar auf technisch Ebene und verbessern auch die Sicht, sie können aber nicht den eigentlichen Sichtbereich vergrößern und sind deshalb keine geeigneten Maßnahmen, um Gefährdungen durch tote Winkel insbesondere beim Rückwärtsfahren zu reduzieren.
Der nächste mögliche Denkschritt: Eine Platzierung eines Zusatzspiegels im Heckbereich oder ein Spiegel-zu-Spiegel-System. Hier zieht die TRBS aber ganz klar Stellung:
"Die Anbringung von Spiegeln im hinteren Sichtbereich sowie Spiegel-zu-Spiegel-Systeme entsprechen nicht dem Stand der Technik."
- TRBS 2111 Teil 1 Anhang Abschnitt 4 Beispiel 1 Punkt 2.1
Und nach § 4 der Betriebssicherheitsverordnung dürfen nur Arbeitsmittel nach dem Stand der Technik eingesetzt und Maßnahmen nach dem Stand der Technik umgesetzt/durchgeführt werden. Diese Option scheidet also ebenfalls aus.
Konkrete Beispiele
Ganz konkret behandelt die TRBS 2111 Teil 1 das Thema der Kameras in Beispielen im Anhang (Abschnitt 4), auf den im Laufe der Vorschrift des Öfteren verwiesen wird. Dieser Anhang hat für dieses Thema also eine zentrale Bedeutung.
Dort befinden sich sechs konkrete Beispiele von üblichen Einsatzsituationen beim Rückwärtsfahren mit eingeschränkter Sicht wie:
- 18 t Bagger beim Ausheben eines Grabens und Beladen eines rückwärtig hinter ihm stehenden Lkw
- Verwendung eines Radladers (18 t) zur Verladung von Schüttgut auf Lkw
- Teleskopstapler (starr) bei Rückwärtsfahrt mit Gitterbox auf Gabelzinken
- Betontransportfahrzeug (Fahrmischer) bei der Anlieferung von Beton
- Zulieferfahrzeug (Lkw-Anlieferung durch eine Spedition)
- Anlieferung von Asphalt im Asphaltanbau mittels Kippsattelzug
Bei ausnahmslos allen Beispielen wird nur die Verwendung eines Kamera-Monitor-Systems als geeignete technische Maßnahme aufgeführt. Der Einsatz von Spiegeln ist zwar zusätzlich möglich, aber nicht als alleinige Maßnahme geeignet. Auch der Einsatz von Sensoren zur akustischen und/oder optischen Warnung (Abstandswarner, Pieper) ist wenn, nur zusätzlich zum Kamerasystem geeignet.
Besteht eine Nachrüstpflicht?
Die strikte Haltung der Aufsichtsbehörden hat also aufgrund der rechtlichen Grundlage und der Sicherheit durchaus ihre Berechtigung. Unfallstatistiken zeigen, dass eingeschränkte Sicht bei Maschinen eine der häufigsten Ursachen für schwere oder tödliche Arbeitsunfälle ist. Technische Lösungen wie Kamera-Monitor-Systeme haben sich als effektive Maßnahme erwiesen, um diese Gefahren zu reduzieren.
Die TRBS 2111 Teil 1 nennt allerdings nur Beispiele für technische Maßnahmen und lässt offen, ob es nicht doch noch andere gleichwertige Maßnahmen gibt. Da es am Markt allerdings derzeit keine zu einem Kamera-Monitor-System vergleichbar sichere Alternative gibt, besteht bei unzureichenden Sichtverhältnissen praktisch eine Nachrüstpflicht.
Die explizite Nennung von "Sensortechnik zur Warnung des Fahrers" als nur zusätzlich zur Kamera geeignete Maßnahme schließt diese als alleinige Maßnahme aus und untermauert nochmals die faktische Nachrüstpflicht bei Großgeräten.
Einzig bei kompakten Maschinen, bei denen das Nahfeld (1 m rund um das Fahrzeug) eingesehen werden kann, muss nicht nachgerüstet werden, auch hier wäre dies seitens der Sicherheit allerdings sinnvoll, wenn auch nicht so dringend nötig wie bei größeren Maschinen."
Auch wenn anderweitig ausgeschlossen werden könnte, dass sich absolut keine Personen im Gefahrenbereich der Maschinen aufhalten, könnte man eventuell auf eine Nachrüstung von Kameras verzichten. Da dies allerdings nur selten möglich ist und vor allem nicht auf herkömmliche Baustellen zutrifft, ist häufig nicht ungerechterweise die Rede von einer Nachrüstpflicht, da sie in den meisten Fällen greift.
Empfehlung an Unternehmer: Nachrüsten statt Stillstand riskieren
Für Unternehmer kann diese Situation zu erheblichen Herausforderungen und finanziellem Mehraufwand führen.
Sogar neu angeschaffte Maschinen können von dieser "Nachrüstpflicht" betroffen sein, wenn sie nicht über die geeigneten Sicherheitssysteme verfügen. Das hängt damit zusammen, dass die Herstellervorgaben wie die EG-Maschinenrichtline bzw. EU-Maschinenverordnung oder Baunormen häufig europäischer Natur sind und sich nicht unbedingt mit den nationalen Betreibervorschriften wie der BetrSichV oder TRBS decken. Schon beim Kauf von (größeren) Maschinen, sollte also sichergestellt werden, dass diese mindestens mit einer Rückfahrkamera ausgestattet sind, ebenso bei der Anmietung von Vermietern/Vermietungen.
Wenn eine Aufsichtsbehörde nun die Nutzung einer Maschine untersagt oder eine Baustelle sogar gänzlich stilllegt, können die Konsequenzen für den Unternehmer erheblich sein.
Gerade bei Großbaustellen kostet jeder Tag der Schließung ein Vielfaches von dem, was eine Nachrüstung der Maschinen kosten würde, denn man muss bedenken, dass die Aufhebung einer Baustellensperrung – z. B. durch ein mögliches Gerichtsverfahren – zeitlich langwierig und kostenintensiv ist und selbst ein einstweiliges Verfügungsverfahren seine Zeit braucht und nicht unerhebliche Kosten verursacht.
Neben den Kosten für die Nachrüstung können Verzögerungen im Bauablauf und zudem mögliche Ansprüche des Bauherren auf Schadensersatz, Verdienstausfälle und Vertragsstrafen entstehen. Dazu kommt der Regressanspruch der Unfallversicherung gegenüber einem Unternehmen, welches Maschinen betreibt, die behördlicherseits keine Genehmigung haben.
Bei den Fällen, bei denen das IAG Mainz involviert war, haben wir auch aus wirtschaftlichen Gründen und der Rechtsrisiken dazu geraten nachzurüsten, anstatt die Schließung der Baustelle in Kauf zu nehmen.
Eine Nachrüstung ist also aus Sicht der Arbeitssicherheit, aber auch aus wirtschaftlicher Sicht demnach oft die pragmatischste Lösung. Die Kosten für Kamera-Monitor-Systeme fallen im Vergleich zu den potenziellen Ausfällen und rechtlichen Risiken am Ende sogar gering aus. Zudem werden die Kosten zur Nachrüstung von Kameras u. U. bis zu 50 % von den Berufsgenossenschaften (z. B. BG Bau) bezuschusst.
Darüber hinaus zeigt eine proaktive Haltung gegenüber Sicherheit und Arbeitsschutz, dass das Unternehmen Verantwortung übernimmt. Dies kann nicht nur das Arbeitsumfeld sicherer machen, sondern auch das Vertrauen von Auftraggebern und Mitarbeitern stärken.
Fazit
Die Nachrüstung von Rückfahrkameras oder ähnlichen technischen Systemen ist nicht nur eine Frage der gesetzlichen Vorschriften, sondern auch der Sicherheit und Wirtschaftlichkeit.
Durch den Mangel an gleichwertigen technischen Maßnahmen ist eine Nachrüstung für größere Maschinen in den meisten Fällen praktisch Pflicht, auch wenn sie nicht explizit gefordert ist.
Unternehmer sollten die Vorgaben der TRBS 2111 Teil 1 und der BetrSichV ernst nehmen und bei Bedarf handeln, um Risiken zu minimieren und den reibungslosen Ablauf ihrer Projekte sicherzustellen. Letztlich ist der Schutz der Mitarbeiter und die Einhaltung der Vorschriften immer die beste Entscheidung.